Ist der Grexit jetzt wirklich vom Tisch?

Um 8.39 Uhr gab es ein einziges Wort in einem Tweet des belgischen Premierministers Charles Michel. „Agreement“ hieß es in der Nachricht von seinem Twitteraccount. „Einigung“ bedeutet dies auf Deutsch. Inzwischen kommen immer mehr Details des „Agreement“ ans Licht der Öffentlichkeit. Die Reaktionen sind sehr gemischt, nicht jeder sieht die Einigung mit Griechenland zugleich als tatsächliche Abwendung des drohenden Grexit an. #Agreekment laut dazu der Internet von vielen genutzte Hashtag. Goldene Euromünzen hintereinander gelegtUm 8.55 Uhr, nur kurze Zeit nach Michel, twitterte EU-Ratspräsident Donald Tusk. Tusk vermeldete in seinem Tweet, dass man sich beim EuroSummit einstimmig geeinigt habe. Damit sei alles bereit für das ESM-Programm für Griechenland, mit ernsthaften Reformen und finanzieller Unterstützung, so der amtierende Ratspräsident aus Polen. Laut Bundeskanzlerin Angela Merkel überwiegen die Vorteile dieser Einigung „eindeutig die Nachteile“. Merkel: „Ich kann das aus voller Überzeugung empfehlen.

Über 80 Milliarden Euro für das 3. Hilfspaket

Bis zu 86 Milliarden Euro soll das neue Hilfspaket für das Pleiteland Griechenland enthalten. Damit wird erneut Geld in ein Land gesteckt, dass es in den letzten fünf Jahren schon nicht geschafft hat, seine Versprechen einzuhalten. Anstatt eines langsamen Grexit, welcher sicher die bessere Lösung gewesen wäre für alle, wird nun weiter Geld nach Griechenland gegeben. Ob dies damit wirklich was ändern wird? Dies ist eher zu bezweifeln. Ein Land, das in all den Jahren nichts aus seiner Krise gelernt hat, wird diese Haltung wohl kaum von heute auf morgen ändern.

Griechisches Parlament muss nun abstimmen

Der erste Schritt für das 3. Hilfspaket ist eine Abstimmung im griechischen Parlament. Spricht sich die nötige Mehrheit der dortigen Parlamentsmitglieder für die Maßnahmen aus, welche den neuen Hilfen aus dem Euro-Rettungsfonds ESM zugrunde liegen, kann der weitere Weg erfolgen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten.
  • Griechenlands Parlamentarier stellen sich in der Mehrheit hinter die nötigen Sparmaßnahmen und Änderungen, und damit zugleich hinter den griechischen Premier Alexis Tsipras. Damit wäre der Weg frei für die nächsten Schritte, die vor dem offiziellen Schritt ins 3. Hilfspaket aus den Töpfen des ESM erfolgen müssten.
  • Aber es könnte auch anders kommen. Die Mehrheit der Parlamentarier folgt dann nicht Tsipras, sondern sieht sich in der Volksstimme und dem Ergebnis des griechischen Referendums.
Wie das Parlament in Griechenland entscheiden wird, davon wir die Zukunft des Landes in den kommenden Monaten und Jahren abhängen.
  • Bei einem „Ja“ kann es weiter gehen in Richtung Hilfspaket aus dem ESM.
  • Bei einem „Nein“ müsste unweigerlich der Grexit folgen.
Zumindest im Normalfall. Aber was ist bei dieser ganzen Sache überhaupt noch normal, werden Sie vielleicht denken? Nichts, dies finden wir auch. D. h. im Moment kann niemand abschätzen, was passieren würde, wenn das griechische Parlament die Beschlüsse zur Rettung Griechenlands ablehnt. Euro-Symbol auf griechischer zerrissener FlaggeVor allem in seiner eigenen, der regierenden Syriza-Partei, könnte auf Premier Alexis Tsipras viel Gegenwind warten bei der Abstimmung. Sprach doch Nikos Filis, der Fraktionssprecher der Partei, in einem Interview mit dem griechischen Fernsehsender ANT1 TV von „Waterboarding„. „Waterboarding“ steht weltweit als Synonym für haarsträubende Foltermethoden in Verhören, die oftmals abseits von jeglicher parlamentarischer Aufsicht geschieht. Filis Ansage ist damit mehr als deutlich, was er von der Einigung von Tsipras und der Euro-Gruppe hält.

Die Länder-Parlamente müssen ihre Zustimmung geben

Stimmen die Parlamentarier in Griechenland in der Mehrheit mit „Ja„, geht das Hilfspaket zur Abstimmung in die Parlamente der anderen Länder der Euro-Zone. Stimmen diese alle mit einem „Ja„, kann das 3. Hilfspaket für Griechenland den nächsten Schritt machen. Werden ein oder mehrere Parlamente hingegen mit „Nein“ stimmen, wird es dem ESM rechtlich kaum möglich sein, weitere Hilfszahlungen in Richtung Griechenland vorzunehmen. Ein weiteres Hilfspaket wäre wohl nicht durchführbar. Falls nicht irgendwer wieder irgendeine Lücke findet, durch die Geld nach Griechenland geschoben werden kann. D. h. die Abstimmungen in den Parlamenten, sowohl erst in Griechenland und dann in den anderen Staaten der Währungsunion und deren jeweiliger Ausgang, sind relevant für den weiteren Verlauf der Geschichte in Sachen 3. Hilfspaket.

Bundestag dürfte nach der Einigung wohl mit „Ja“ stimmen

Da das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bereits vor längerem vorgegeben hat, dass der Bundestag abstimmen muss, wenn es um Zahlungen aus dem ESM mit deutscher Beteiligung geht, muss das Hilfspaket natürlich auch durch den Bundestag. Erfolgt die Abstimmung in Griechenlands Parlament mit einem „Ja„, geht das Paket auch durch den deutschen Bundestag. Hier ist aber kein „Nein“ zu erwarten. Da die Bundesregierung aus den Unionsparteien und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart hat, bei Abstimmungen im Bundestag an einem Strang zu ziehen, dürfte es zu ein deutlichen Mehrheit für das 3. Hilfspaket kommen! Davon geht auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann aus. Dieser geht davon aus, dass der Bundestag nach beschlossenen Reformen durch die griechischen Parlamentarier selbst schnell mit „Ja“ entscheiden wird. Oppermann: „Wenn das geschieht, bin ich zuversichtlich, dass der Bundestag mit breiter Mehrheit für die Aufnahme von Verhandlungen stimmen wird.”

Grexit damit aufgehoben? – Nein, wohl nur verschoben!

Goldenes Urhwerk mit ZiffernblattStimmen Griechenlands Parlamentarier mit „Ja“ und auch die anderen Parlamente geben grünes Licht, bedeutet dies nicht gleichermaßen, dass der Grexit damit für alle Zeit aufgehoben. Das 3. Hilfspaket wird wohl nur das sein, was Experten und auch wir vermuten: das Aufschieben von etwas Unabwendbarem. Griechenland müsste, um endlich wieder die Füße auf den Boden zu bekommen, eine völlige Entschuldung vornehmen. D. h. ab in die Insolvenz mit dem Land, das längst Pleite ist. Hier wird nur weiter eine dringend nötige Insolvenz verschleppt: Auf Kosten der Steuerzahler in Deutschland und den anderen Staaten der Euro-Zone. Zugleich auf Kosten der Bürger Griechenlands, die immer noch im Unklaren darüber gelassen werden, wie es ihrem Land wirklich geht und dies seit vielen Jahren schon. Selbst kann sich Griechenland nicht mehr retten, auch mit dem 3. Hilfspaket nicht. Dafür sind viel zu viele Löcher in einem Faß, das schon lange keinen Boden mehr hat! D. h. im Klartext: Der Grexit wird kommen. Weil kein Weg daran vorbeiführen wird. Wann die Bundesregierung in Berlin, Präsident Hollande aus Frankreich und Co. dies endlich begreifen werden? Vielleicht erst nach dem 4. oder 5. Hilfspaket…

Umsetzung wird Wochen dauern

Vorausgesetzt, alle Parlamente stimmen mit dem nötigen „Ja„. Ist Griechenland nicht automatisch gleich gerettet. Dann beginnen die nächsten Schritte, beispielsweise die genaue Festlegung der Vorgehensweise. Zudem wird Griechenland das Geld, d. h. die derzeit erwarteten, bis zu 86 Milliarden Euro, auf einmal erhalten. Das 3. Hilfspaket wird wohl in mehrere Einzelpakete aufgeschnürt werden. Ein Teil davon soll der Rettung der griechischen Banken dienen. Wie der genaue Ablauf sein wird, werden wir deshalb erst dann wissen, wenn die Parlamentarier ihre Arbeit getan haben, mit einem „Ja“ unter dem Strich. Erst dann können die weiteren Planungen um die Hilfszahlungen etc. weitergehen.

Stimmen zur Einigung zu Griechenland-Rettung

Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok auf dem Nachrichtensender n-tv

Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok war bei n-tv voll des Lobes über die Einigung. Brok: „Das Ergebnis ist weit besser, als ich gedacht habe. Ich hatte gestern Nachmittag nicht das Gefühl, dass man zu einer Einigung kommt. Aber hier muss man sehen, dass das Zusammenspiel Schäuble – Merkel hoffentlich funktioniert hat und Griechenland der Ernst der Lage deutlich wurde.“ Brok auf n-tv weiter: „So dass in allen wesentlichen Fragen Vertrauen geschaffen werden kann, weil die Griechen jetzt Absicherungen machen müssen und bevor überhaupt Verhandlungen beginnen können, schon Leistungen erbringen müssen. Indem Gesetzgebung vorher durchgesetzt wird, damit wir nicht wieder diese Hängepartien haben und das Brechen von Zusagen. Insofern ist das jetzt eine völlig neue Vereinbarung, die eine neue Chance mit sich bringt.“ Laut Brok wäre es bei einem Grexit nicht billiger geworden. Seine Meinung dazu legt er beim Nachrichtensender deutlich auf den Tisch: „Dann wäre alles Geld verloren gewesen und gleichzeitig hätte man ungeheure Anstrengungen unternehmen müssen, humanitär und auf andere Art und Weise Griechenland zu helfen, damit das Land nicht völlig zusammenbricht.“ Der Europaabgeordnete der CDU weiter: „Insofern ist das hier der bessere Weg. Dadurch, dass die Absicherungen jetzt drin sind, ist auch die große Chance da, dass Griechenland wie Portugal, Irland und andere Länder dann doch noch auf den Weg des Wachstums kommt.“

Grexit oder Hilfspaket – Zahlt Deutschland sowieso? – Maybrit Illner vom 9. Juli 2015

Lutz Goebel, der  Präsident des Verbandes der Familienunternehmer gegenüber Reuters

Der Präsident des Verbandes der Familienunternehmer in Deutschland, Lutz Goebel, wird gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters deutlich: „Die europäischen Steuerzahler werden wieder einmal genötigt, für viel Geld ein bisschen Zeit zu erkaufen.“ Goebel wird noch deutlicher: „Das ist Insolvenzverschleppung. Griechenland wird seine Schulden nie zurückzahlen können. Es wird nur weiteres Geld ins Feuer geworfen.“

Dominik Auricht Experte bei der HypoVereinsbank onemarkets im „Handelsblatt“

Gegenüber der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt“ machte der Experte für Anlage- und Hebelprodukte HypoVereinsbank onemarkets, Dominik Auricht, deutlich, dass die heutige Einigung seiner Ansicht nach nicht zu einer nachhaltigen Beruhigung auf den Aktienmärkten führen dürfte. Auricht: „Groß durchatmen können Anleger ohnehin nicht“. Eine Meinung, die wohl zahlreiche andere Experten teilen dürften.“

Wolfgang Bosbach von der CDU gegenüber N24

Wolfgang Bosbach ist einer der lautesten Politiker der CDU und spricht sie oftmals aus, die unbequemen Wahrheiten, die andere entweder nicht hören oder lieber nicht sagen wollen. Dadurch ist Bosbach weit über die Kreise der Union hinaus geschätzt und beliebt. Gegenüber dem TV-Sender N24 machte Bosbach deutlich, dass er nicht daran glaubt, dass die Einigung Griechenland selbst weiterhelfen würde. Bosbach: „Wir kaufen uns für viel Geld etwas Zeit“. Das Problem Griechenlands sei die fehlende leistungsfähige Volkswirtschaft und Verwaltung. Solidarität sei indes genug vorhanden innerhalb Europas. Der CDU-Politiker bringt es deshalb auf einen klaren Punkt: „Warum soll es jetzt völlig anders werden als in den letzten vier Jahren?“ Bosbach weiter: „Ich habe kein Vertrauen mehr in die griechische Regierungskunst. Wer weiß, wie lange diese Regierung noch hält.“

Jürgen Michels, Chef-Volkswirt der BayernLB

Im gleichen Artikel im „Handelsblatt“ wird der Chef-Volkswirt der BayernLB, Jürgen Michels, zitiert. Michels findet die Worte, die andere im Moment noch nur denken mögen. Michels: „Dieser Gipfel hat den Grexit jetzt verhindert.“ Doch eine Besserung der Lage ist für den Chef-Volkswirt nicht in Sicht: „Aber es wird unglaublich schwer sein, die genannten Sofortmaßnahmen als auch die folgenden Reformen in Griechenland durchzusetzen.“ So ist für Jürgen Michels eines klar: „Die Folgerung daraus lautet: Grexit nicht heute, aber später.“ Dieser Meinung können wir uns nur anschließen.

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