Die Europäische Zentralbank unter ihrem Präsidenten Mario Draghi ist in Zugzwang, seitdem der Italiener nach der letzten Ratssitzung im Mai deutlich gemacht hat, dass die EZB handeln wird. Doch welche geldpolitischen Maßnahmen wird die Europäische Notenbank im Juni dieses Jahres ergreifen, wird sie die Geldpolitik gar so sehr lockern, dass der Leitzins weiter fallen wird?
Bloomberg.com, der Nachrichtendienst für Finanznachrichten,
hat dazu aktuell 52 Volkswirte befragt, und die Antworten gehen fast ausschließlich in eine Richtung: Die EZB wird etwas tun, schon allein da EZB-Chef Draghi entsprechende Ankündigungen gemacht hat und sonst sein Gesicht verlieren würde. 47 der von Bloomberg befragten Volkswirte gehen demnach davon aus, dass die EZB im Juni ihre Geldpolitik noch weiter lockern wird.
Dies ist ein recht hoher Anteil an Sachverständigen. Damit wird deutlich: Draghi und der Rest des EZB-Rats sind nun zum Handeln gezwungen. Wird darum bei der nächsten Ratssitzung eine Senkung des Leitzinses beschlossen werden? Dies ist die große Frage, die Sparer, Investoren, Banken und Versicherungen gleichermaßen beschäftigt.
Wir haben für Sie eine umfangreiche Statistik der Leitzinsentwicklung eingestelt
Wirtschaft im Euroraum wächst weniger gut als erwartet
Immer noch hinkt die Wirtschaft in der Euro-Zone auf zwei Beinen. Während es gerade Deutschland in konjunktureller Hinsicht gut geht, dank der starken Binnenwirtschaft, sieht es in anderen Staaten des Euroraums ganz anders aus. Zugleich macht der Währungsunion der hoch bewertete Euro zu schaffen. Kratzt der doch immer wieder an der Marke von 1,40 Dollar. Denn je höher die Gemeinschaftswährung bewertet wird, desto mehr leidet die Exportwirtschaft der Euro-Zone.
Die Europäische Zentralbank ist damit nicht nur wegen der Worte des Herrn Draghi im Zugzwang. Nun wird sie zeigen müssen, ob sie wirklich geldpolitische Maßnahmen ergreifen kann, die mittelfristig bis langfristig Wirkung zeigen. Oder ob es – wieder einmal – nur ein Tropfen auf den heißen Stein werden wird, der schnell verpufft, wie bereits bei vorangegangenen Maßnahmen seitens der EZB.
Leitzinssenkung mit Ankündigung?
Die letzte Leitzinssenkung kam überraschend. Kaum ein Experte hatte tatsächlich mit einer weiteren Senkung des Hauptrefinanzierungssatzes durch die EZB gerechnet. Dieses Mal dürfte es anders sein. Bereits jetzt mehren sich die Anzeichen für eine weitere Senkung dieses wichtigen Zinssatzes. Eine Leitzinssenkung mit Ankündigung quasi? Ja, das könnte man fast meinen.
Denn immerhin rechnen 29 der 47 Volkswirte, die von einer Lockerung der Geldpolitik durch die Europäische Zentralbank ausgehen, zugleich mit einer Senkung des Leitzinssatzes für die Euro-Zone. Dies sind über die Hälfte der vom Bloomberg befragten Experten. Eine Leitzinssenkung im Juni dieses Jahres wird damit wahrscheinlich, es sei denn, EZB-Chef Draghi und Co. rudern zurück und lockern zwar die Geldpolitik für die Euro-Zone, tasten den Leitzins aber (vorerst) nicht an.
Doch was würde eine solche weitere Senkung des Leitzinses, sei es nun um 10 Basispunkte, um 15 Basispunkte oder gar um 25 Basispunkte für Deutschland und die deutschen Verbraucher bedeuten? Werden die Sparzinsen weiter sinken, gibt es einen erneuten Rutsch bei den Kreditzinsen? Und sinken gar die Bauzinsen weiter?
Was bedeutet das für unsere Sparzinsen?
Die Zinsen für Spareinlagen sind in Deutschland bei vielen Banken und Sparkassen bereits im Keller angekommen. Der durchschnittliche Zinssatz für täglich fällige Einlagen lag nach Berechnungen der Bundesbank im März dieses Jahres im Neugeschäft bei nur noch 0,37 Prozent p.a. für die Einlagen privater Haushalte und bei 0,17 Prozent p.a. für die Einlagen nichtfinanzieller Kapitalgesellschaften.
Dies bedeutet, dass die Zinsen schon bei einem Leitzins von nur 0,25 Prozent niedrig sind. Eine weitere Senkung des Leitzinssatzes könnte zu einem neuerlichen Zinsrutsch führen, von dem nicht nur die Sparer selbst, sondern auch die Anbieter von Kapitallebensversicherungen, Riester Rente und Basisrente betroffen wären.
Für viele Sparer würde dies vermutlich einen Schock bedeuten, könnten doch die Zinsen für Tagesgeldkonten, Festgelder und Sparbücher sowie für andere, „sichere“ Spareinlagen, damit weiter sinken.
Doch ob es wirklich soweit kommen würde, im Zuge einer Leitzinssenkung durch die Europäische Zentralbank, ist möglicherweise fraglich. Denn bereits jetzt laufen den Banken die Kunden weg, weil sie nur noch Minizinsen bei ihrer Hausbank erhalten. Stattdessen geben die Verbraucher ihr Geld freudig im Konsumrausch aus, was natürlich die Wirtschaft antreibt. Oder sie legen es gegebenenfalls mit mehr Risiko an, und hoffen auf die höheren Renditechancen.
Sinken der Sparzinsen auf breiter Front wenig wahrscheinlich?
Ein flächendeckendes Sinken der Sparzinsen nach einer Senkung des Leitzinssatzes ist möglich, jedoch möglicherweise auch wenig wahrscheinlich. Zwar ist davon auszugehen, dass zahlreiche Banken weiter die Zinsen für ihre Sparprodukte nach unten schrauben werden. Doch ob wirklich jede Bank diesen Weg gehen wird, erscheint eher unwahrscheinlich.
Für Sparer bedeutet dies zugleich noch mehr als sonst, sich vor der Geldanlage Zeit für einen Vergleich der Zinsen und Konditionen der unterschiedlichen Anbieter zu nehmen. Betroffen sind dann alle Anlageprodukte, unabhängig von Verfügbarkeit und Laufzeit.
Werden die Kreditzinsen nun weiter sinken?
Weniger klar als bei den Sparzinsen dürfte indes sein, was mit den Kreditzinsen nach einer neuerlichen Leitzinssenkung passieren würde. Hier gab es in den vergangenen Monaten teilweise unterschiedliche Entwicklungen, bei der die Zinsen für Ratenkredite gestiegen statt gesunken sind – und dies trotz eines gesenkten Leitzinssatzes.
Deshalb ist es derzeit nahezu unmöglich, eine Prognose für die Entwicklung der Kreditzinsen nach einer möglichen Leitzinssenkung zu erstellen. Denn es kann viel passieren: die Zinsen für Ratenkredite könnten sinken. Oder stagnieren. Oder dem niedrigen Leitzins zum Trotz einfach weiter steigen.
Es kommt darauf an, wie die Banken auf eine Senkung des Leitzinssatzes im kommenden Monat reagieren werden. Geben sie die günstigeren Kreditkonditionen an ihre Kunden weiter, oder bleiben sie ihren derzeitigen Zinsen treu und sehen sich die weitere Entwicklung erst einmal eine Weile an.
Sinken dann auch die Bauzinsen weiter?
Wenn eine Leitzinssenkung auf den Tisch kommt, wird auch schnell die Frage laut, ob auch die Zinsen für Baufinanzierungen weiter sinken. Dahinter steckt aber wohl eher Wunschdenken, zumindest wenn es sich dabei um Baukredite mit einer Zinsbindung handelt.
Baufinanzierungen mit variabler Verzinsung orientieren sich immer wieder mal am Leitzins, wenn es um die Höhe der Zinsen geht. Bei den Baudarlehen, die mit einer mittelfristigen bis langfristigen Zinsbindung daherkommen, wird ein anderer Orientierungspunkt von den Banken und Baufinanzierern gewählt:
die Pfandbriefkurve.
Steigt diese, dann steigen auch die Bauzinsen, sinkt diese, dann sinken in der Folge auch die Bauzinsen. Dem Leitzins folgen die Zinsen für Baufinanzierungen damit nicht, die Entwicklung des Leitzinssatzes spielt damit für die Entwicklung der Zinsen für Baukredite und Immobilienfinanzierungen nur sehr bedingt eine Rolle, bei den Zinsen für Baudarlehen mit variabler Verzinsung.
Von solchen Baukrediten ist jedoch, egal wie hoch der Leitzins ist, eher abzuraten. Bieten Baufinanzierungen mit variabler Verzinsung doch überhaupt keine Planbarkeit für den Bauherrn, wenn es um die Rückzahlung des Darlehens geht. Derzeit empfiehlt es sich hingegen eher, eine Baufinanzierung mit möglichst langer Zinsbindung abzuschließen, um sich die derzeit noch niedrigen Bauzinsen auf lange Sicht sichern zu können.