Am morgigen Donnerstag steht eine Sitzung des EZB-Rates als zentrales Entscheidungsgremium der Europäischen Zentralbank (EZB) an, die sich alleinig für die europäische Geldpolitik verantwortlich zeichnet. Debattiert werden dürfte natürlich vordergründig über die aktuelle Situation in der Eurozone und die Implikationen für die Geldpolitik. Daher wird man auch mit einer weiteren Leitzinsentscheidung rechnen dürfen. Aktuell liegt der Zins des Hauptrefinanzierungssatzes, dem wichtigen Leitzins für den Tagesgeldsatz, auf einem Niveau von 1 Prozent. Im Vorfeld von Sitzungen des EZB-Rats debattieren sogenannte Schattenräte darüber, welche Argumente für und welche Argumente gegen eine Leitzinsänderung sprechen. Auch das Handelsblatt hat einen derartigen Schattenrat eingesetzt, der aus 19 sehr renommierten Volkswirten besteht. Sie telefonieren einmal monatlich vor den EZB-Rat Sitzungen und diskutieren darüber, wie sie entscheiden würden, wären sie selbst Mitglied des Entscheidungsgremiums.
Angesichts der schwachen konjunkturellen Situation in der Eurozone wird die Geldpolitik zunehmend herausgefordert. Die Wachstumsprognosen sind im Durchschnitt ganz leicht positiv. Viele der Schattenräte rechnen allerdings mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung in der Eurozone. Dementsprechend wird es nach Meinung der Volkswirte umso wichtiger, das Bankensystem und die Volkswirtschaft insgesamt mit günstiger Liquidität zu versorgen. Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sei es wichtig, sich derzeit zu günstigen Zinsen refinanzieren zu können. Aus diesem Grund empfiehlt eine breite Mehrheit des Schattenrates eine Senkung des Leitzinses der EZB auf unter 1 Prozent. Es gab allerdings auch einige kritische Stimmen, die darauf hinweisen, dass man aktuell schon fast auf einem Nullzinsniveau sei. Letztlich ausschlaggebend ist nämlich der tatsächliche Tagesgeldsatz, der EONIA, nicht der Referenzsatz. Der EONIA lag in der letzten Zeit teilweise deutlich unter 1 Prozent.
Auch über unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen wie die quantitative Lockerung wurde diskutiert. Dabei handelt es sich um eine Ausweitung der finanziellen Verbindlichkeiten der EZB durch den Ankauf von Wertpapieren, insbesondere Staatsanleihen. Dadurch wird der Geldmarkt mit zusätzlichem Basisgeld geflutet, das die Geschäftsbanken zu Kreditvergabe nutzen können. Damit würde einer Kreditklemme entgegengewirkt, die Investitionen und das Wirtschaftswachstum insgesamt angeregt. Allerdings sind damit auch Risiken verbunden, die einige Ökonomen davon abhalten, eine quantitative Lockerung zu empfehlen.
Ob die EZB sich morgen so entscheiden wird, wie der Schattenrat vermutet, bleibt abzuwarten. Objektiv halten viele eine Leitzinssenkung schon morgen für eher unrealistisch, da schon bei der letzten Sitzung heftig gestritten wurde. Zudem hat die EZB bisher noch nie einen Leitzins von unter 1 Prozent gehabt, sogar in der Finanzkrise 2008 nicht.