Sind die aktuellen Probleme der Europäischen Währungsunion (EWU) nur die folgerichtige Konsequenz bereits früh bekannter Konstruktionsfehler? Oder sind sie möglicherweise auch die natürliche Folge einiger Besonderheiten, die die EWU auszeichnet? Schon vor dem 1. Januar 1999, an dem die Europäische Zentralbank (EZB) die geldpolitische Verantwortung von den nationalen Zentralbanken der Mitgliedsstaaten übernahm, war klar, dass die Geldpolitik fortan unter erheblichen Unsicherheiten agieren würde. Dies ist mit den Besonderheiten dieser EWU zu begründen:
Zum einen besteht für die EWU eine enorm unsichere Datenbasis. Viele Daten, insbesondere aus dem realen Bereich der Volkswirtschaften, werden erst mit erheblichen Zeitverzögerungen publiziert und unterliegen auch dann noch Revisionen. Dies macht es schwierig, die aktuelle konjunkturelle Situation der Währungsunion richtig einzuschätzen. Außerdem sind keine langen historischen Zeitreihen der wichtigen Variablen verfügbar. Im Jahr 1999 verzeichnen alle Zeitreihen mit der Einführung der gemeinsamen Währung einen Strukturbruch. Dies macht die Modellbildung aufgrund der unvollständigen oder nicht ausreichend zur Verfügung stehenden Daten äußerst schwierig. Die Konstruktion von Modellen ist jedoch für das Fällen geldpolitischer Entscheidungen unumgänglich – ein großes Problem für die EZB.
Zum anderen sind die Teilnehmerstaaten äußerst heterogen – geldpolitische Impulse wirken unterschiedlich. Da die EZB nur EWU-weite, jedoch keine länderspezifischen, geldpolitischen Impulse setzen kann, kann es zu unterschiedlichen Wirkungen der Geldpolitik kommen. Die verschiedenen Sprachen, die national dirigierten Finanz- und Wirtschaftspolitiken, unterschiedliche Steuer- und Transfersysteme sowie unterschiedliche Institutionen der Lohnbildung verdeutlichen die Heterogenität zudem. Viele nationale Transakteure schätzen die EWU-weite Inflationsrate, auf deren Stabilisierung die EZB zielt, als eher irrelevant ein. Sie orientieren sich an den nationalen Inflationsraten. Daher könnten sie bei niedrigen nationalen Inflationsraten eine expansive Geldpolitik bevorzugen und umgekehrt. Dies verursacht ein heterogenes Meinungsbild im EZB-Rat, das umso stärker ausfällt, desto stärker die Inflationsdifferenzen ausgeprägt sind.
All diese Faktoren legen nahe, dass die gemeinsame Geldpolitik seit 1999 unter erheblich unsicheren Umständen durchgeführt werden kann als es noch vor 1999 bei nationaler Verantwortung der jeweiligen Zentralbanken der Fall war.