Update vom 19.01.2016 – Dieselgate teuer aber bezahlbar
Je nach Betrachtung wird die „Dieselgate“-Affäre den Volkswagen-Konzern zwischen 20 und 50 Milliarden Euro kosten. Das ist viel Geld, für VW aber machbar. Zum einen verfügt der Konzern über mehr als 20 Milliarden Euro Barmittel. Zum anderen hat er sich erst vor kurzem neue Kreditlinien in Höhe von mehr als 20 Milliarden Euro zusichern lassen. Darüber hinaus hat er bereits eine einfache technische Lösung für das Abgasproblem präsentiert, die vom Kraftfahrtbundesamt bereits genehmigt wurde. Die Kosten dieser Lösung liegen bei etwa 800 Millionen Euro. Einzige Unwägbarkeit bis heute: die Höhe der Schadenersatzklagen in den USA. Zum Vergleich: der US-Konzern General Motors hatte nach Problemen mit defekten Zündschlössern, aufgrund derer mindestens 124 Menschen den Tod fanden, einen Entschädigungsfonds eingerichtet und in einem Vergleich 900 Millionen Euro Schadenersatz akzeptiert. Bei Volkswagen geht es um überschrittene Emissionswerte in einem Land, welches zu den größten Umweltsündern und Luftverschmutzern der Welt zählt. Wenn Volkswagen wirklich mit Milliarden US-Dollar an Strafzahlungen belangt werden sollte, hätte das eher politisches Kalkül, um sich einen unliebsamen Konkurrenten der heimischen Automobilindustrie vom Hals zu schaffen.Die Eckdaten
Zurzeit kursieren die unterschiedlichsten Zahlen im Raum. Für die USA wurden Zahlen in Höhe von bis zu 40 Milliarden US-$ genannt, die allerdings bereits wieder relativiert wurden. Noch steht die genaue Zahl der betroffenen Fahrzeuge nicht fest. Die Rede ist von 11 Millionen PKW aus dem gesamten Konzern, also auch AUDI, Skoda oder Seat. Volkswagen selbst, die Volkswagen AG als Konzernoberhaupt, hat zunächst einmal 6,5 Milliarden Euro Rücklagen gebildet. Dieser Betrag soll aber zunächst für die technologische „Korrektur“ an den betroffenen Fahrzeugen verwendet werden. „Dieselgate“, wie der Vorgang genannt wird, wirft mehr Fragen auf, als bis jetzt beantwortet werden können.Nur Schadensersatz oder doch Betrug?
Es ist bislang noch nicht einmal geklärt, ob die Volkswagen AG mit Schadensersatzforderungen davon kommt, oder ob einzelnen Managern, darunter auch Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn, der Betrug nachgewiesen werden kann. Sowohl in den USA als auch in Deutschland gilt, dass Manager juristischer Personen durchaus für das Fehlverhalten des Unternehmens haftbar gemacht werden können. War die Manipulation bekannt, und kann nachgewiesen werden, dass der Vorstand oder einzelne Mitglieder des Vorstandes davon wussten, gilt dies als Beihilfe. War die Manipulation nicht bekannt, liegt zumindest eine Ordnungswidrigkeit in Form der Aufsichtspflichtverletzung vor. Während für die Beihilfe zum Betrug Haftstrafen von bis zu zehn Jahren verhängt werden können, beträgt das Bußgeld für die Ordnungswidrigkeit bis zu einer Million Euro. In Deutschland könnte wegen Betruges eine Strafe von zehn Millionen Euro anstehen – pro Fahrzeug. Eine weitere Frage ist, ob das Unternehmen für das Fehlverhalten seines Managements geradestehen darf, oder die Verantwortlichen die Strafen aus eigener Tasche bezahlen müssen. Der Bundesgerichtshof entschied im Jahr 2014, dass eine Firma die Strafe übernehmen darf, wenn der Nachweis besteht, dass dies im berechtigten Interesse des Unternehmens liege. Allerdings ist die Zustimmung der Hauptversammlung notwendig. Dennoch wäre in diesem Fall von einer faktischen Straffreiheit der Verantwortlichen aus dem Vorstand auszugehen. Die Staatsanwaltschaft auf beiden Seiten des Atlantiks wird sich sicher noch einige Jahre mit diesem Fall beschäftigen müssen, bis es zu einer möglichen Anklageerhebung kommen kann. Abgesehen von der strafrechtlichen Relevanz steht aber bei Wirtschaftsexperten eine ganz andere Frage im Vordergrund.Wer soll das bezahlen – wer hat soviel Geld?
Das alte Karnevalslied gelangte im Spätsommer 2015, lange vor Beginn der fünften Jahreszeit, zu einer unrühmlichen vorgezogenen Popularität. Die zentrale Frage, vor der Volkswagen steht, lautet, wie die horrenden Forderungen, die in den USA aktuell auf dem Tisch liegen beglichen werden sollen. Es geht dabei aber nicht nur um die Überlegung, wie voll die Kassen des Konzerns sind, sondern auch, wie voll sie in Zukunft sein werden. Es geht auch darum, wie das Land Niedersachsen als einer der Hauptaktionäre von Volkswagen mit dieser Affaire umgeht. Immerhin erhielt Niedersachsen an Dividendenzahlungen im Jahr 2014 die stattliche Summe von 283 Millionen Euro überwiesen. An Kapitalrücklagen stehen jedenfalls rund elf Milliarden Euro bereit, wie es scheint, zu wenig, um den zu erwartenden Sammelklagen aus den USA gegenüberzutreten. Der Kurs von Anleihen mit zweijähriger Laufzeit verlor rund ein Prozent. Auch die Anleger, nicht nur die Autokäufer, haben Vertrauen in die Marke VW verloren. Eine Überlegung wäre natürlich, notwendige Gelder durch die Ausgabe von Anleihen zu beschaffen.Künftig Höhere Zinsen belasten die Gewinne
Die Herabstufung durch die Analystenhäuser würde aber durch höhere Zinsen die Konzernkasse noch stärker belasten, eine Fremdmittelaufnahme in dieser Größenordnung, die bislang unbestätigt im Raum steht, den Rahmen sprengen. Die Auswirkungen des Skandals spiegeln sich nicht nur im Aktienkurs des Unternehmens, sondern auch in den Kursen der Anleihen wider. Die Volkswagen International Finance Anleihe mit der WKN WKN: A1ZE21 / ISIN: XS1048428442 büßte in den letzten drei Monaten über 17 % an Wert ein, fiel von einem Kurs leicht unter 105 % auf 89 % (Stand 7. Oktober 2015).Arbeitsmarkt in Niedersachsen in Gefahr
Die Abwärtsspirale geht aber auf Jahre hinaus weiter. Rund 150.000 Menschen einschließlich der Zuliefererbetriebe arbeiten in Niedersachsen für den Konzern. Der Wirtschaftsinformatiker Michael Breitner von der Universität Hannover sieht auf Niedersachsen ein Desaster zukommen, wenn nur zehn Prozent dieser Stellen aufgrund eines Auftragsrückgangs gestrichen würden. Darüber hinaus hat der Konzern Gewerbesteuervorauszahlungen für die nächsten Jahre geleistet. Mit einem Einbruch der Betriebsergebnisse müssten diese an das Unternehmen zurückgezahlt werden. Volkswagen hatte schon einmal einen massiven Gewinneinbruch zu verzeichnen. So fielen die Zahlen des Jahres 2013 mit einem Gewinn nach Steuern von neun Milliarden Euro um 58 % geringer aus als im Rekordjahr 2012, als das Unternehmen nach Steuern satte 21 Milliarden Euro verbuchte. Dagegen nehmen sich die elf Milliarden Euro Gewinn aus dem Jahr 2014 geradezu bescheiden aus.Welche Klagen stehen Volkswagen ins Haus?
Die Größenordnung ist nicht abzusehen, die Liste derjenigen, welche klagen oder noch klagen wollen, wird jedoch täglich länger, wie ein Bericht von n-tv vom 30.9.2015 belegt:- Sammelklagen in den USA von Autokäufern in einer Größenordnung ab 18 Milliarden Euro
- Harris County in Texas fordert 89 Millionen Euro wegen Luftverschmutzung durch 6.000 dort verkaufte PKW des Konzerns.
- Spanien, Belgien und Frankreich fordern Subventionen in Milliardenhöhe zurück.
- Ein italienischer und ein französischer Umweltverband wollen Anzeige erstatten.
- Es stehen Schadensersatzforderungen in Deutschland und Südkorea seitens der Erwerber von KFZ in bislang unbekannter Höhe an.
- In Brasilien stehen bei einem Verstoß gegen das Umweltgesetz Zahlungen in der Höhe von 11 Milliarden Euro im Raum.
- In Großbritannien bahnt sich ebenfalls eine Sammelklage an, die in der Höhe aber noch nicht beziffert ist.
- In der Schweiz wurde der Verkauf von Fahrzeugen mit dem manipulierten Motor vorerst gestoppt.
Aktionäre klagen auch
Darüber hinaus wurde beim zuständigen Gericht in Braunschweig die erste Klage eines Aktionärs bezüglich des Verstoßes gegen die ad hoc Regelung eingereicht. Diese besagt, dass eine Aktiengesellschaft unverzüglich die Öffentlichkeit darüber informieren muss, wenn Tatbestände eingetreten sind, welche sich maßgeblich auf den Börsenkurs der Aktie auswirken können. Im schlimmsten Fall müsste sich der Volkswagenkonzern auf Summen im oberen zweistelligen Milliardenbereich einstellen. Die bisherige Rücklage von 6,5 Milliarden Euro klingt vor dem Hintergrund der weltweiten Klagen geradezu albern.Und was ist jetzt mit der Volkswagenbank?
Die Volkswagenbank ist eine 100prozentige Tochter der Volkswagen Financial Services, die wiederum eine 100prozentige Tochter der Volkswagen AG ist. Die erste Befürchtung, die bei Anlegern aufkommen könnte, wäre natürlich, ob der Konzern die Einlagen der Kunden nutzt, um damit mögliche Strafzahlungen zu leisten. Die Volkswagen Bank ist mit einem Eigenkapital von 4,8 Milliarden Euro ausgestattet. An Rücklagen verfügt sie über 3,9 Milliarden Euro, an Gewinnrücklagen über 600 Millionen Euro. Soweit ist das Unternehmen recht gesund aufgestellt.Surftipp: Volkswagen Bank Tagesgeld im Test